Der Wert und das „Wie“ eines pragmatischen Wissensmanagements (Interview)

Günther Eufinger ist Geschäftsführer der vetafab Software GmbH, Tobias Kautz ist Unternehmensberater und ehemaliger Mitarbeiter von vetafab. Anlässlich des Re-Launchs dieses Blogs tauschen sich die beiden über Erfahrungen und Tipps für ein pragmatisches Wissensmanagement in der Organisation aus.

Günther: Hallo Tobias! Schön, dass Du Dir Zeit nimmst, um heute über die Erfahrungen zu sprechen, die Du nach Deinem Ausscheiden bei lexiCan zum Thema Wissensmanagement gesammelt hast.

Tobias: Vielen Dank für die Einladung. Ja, in den letzten Jahren konnte ich durch meine Tätigkeit im Tagesgeschäft eines IT-Dienstleisters und in der Unternehmensberatung diverse Erkenntnisse rund um das Wissensmanagement sammeln. Ich freue mich, diese Reflektionen heute mit Euren Lesern teilen zu dürfen.

Günther: Und was waren Deine wichtigsten Erkenntnisse dabei?

Tobias: Zunächst die vielleicht simple Erkenntnis, dass einige Organisationen schon Wissensmanagement betreiben, ohne es zu wissen oder es zumindest explizit so zu nennen.

Günther: Was meinst Du damit?

Tobias: Gerade in größeren Organisationen existieren schon verschiedene IT-Systeme, die transaktionale Daten erfassen, diese zu Informationen aufbereiten und auch die Wissensdokumentation erlauben. Man denke zum Beispiel an ein ERP-System oder Kundenmanagementsystem, also ein CRM. Ein anderes Beispiel, das aber eher den „umgekehrten Weg“ vom Wissen zu den Daten geht, wären Modellierungswerkzeuge, mit denen man das in den Köpfen vorhandene Wissen – beispielsweise zu Prozessen – dokumentieren kann. Und nicht zu vernachlässigen ist natürlich auch die persönliche Wissensweitergabe – egal ob spontan an der Kaffeemaschine oder in einer monatlichen Knowledge Session.

Günther: Und welche Rolle spielt dann ein dediziertes Managementsystem für Wissensmanagement?

Tobias: Also ich glaube, dass es einen Mehrwert bringen kann, diese verschiedenen Themenbereiche ganzheitlich und integriert aus Sicht des Mitarbeiters zu betrachten. So können einfacher Lücken / Redundanzen identifiziert, Konsistenzen hergestellt und auch ein Bezug zu Skill-Profilen beziehungsweise Weiterbildungsmöglichkeiten und ähnlichen Themen hergestellt werden. Und ich kann die Inhalte differenzierter für die jeweilige Zielgruppe darstellen.

Günther: Hört sich auch nach Aufwand an…

Tobias: Ja, das stimmt. Dafür kann Wissensmanagement ja aber auch einen Nutzen stiften. Mindestens mal, die Effektivität und / oder Effizienz der betroffenen Prozesse beziehungsweise Arbeitsflüsse zu erhöhen. In einigen Branchen sind technische Wissensmanagement-Lösungen, also beispielsweise Unternehmens-Wikis, auch Geschäftsmodell-relevant. Für Beratungshäuser ist die Dokumentation von Know-how, wie zum Beispiel wiederverwendbarer Modelle oder Inhalten aus Projekten, essenziell, um zum Beispiel schneller darauf basierende Inhalte erstellen zu können oder beim Ausscheiden von Mitarbeitern keinen Verlust an potenziell verkaufbarem Wissen zu erzielen.

Günther: Und welche sind die wichtigsten zu beachtenden Aufwände, die diesem Nutzen gegenüberstehen?

Tobias: Also natürlich hat man die Kosten für die technische Wissensmanagement-Lösung und gegebenenfalls für die Person beziehungsweise anfangs das Projekt, das für Einführung und „Betrieb“ des Wissensmanagements zuständig ist. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Hinzu kommen die anderen Mitarbeitenden, die die Inhalte zusätzlich zum oder während des Tagesgeschäfts einstellen, wodurch sich Opportunitätskosten ergeben. Und ein zweiter nicht zu vernachlässigender Aspekt ist der Kulturwandel.

Günther: Was umfasst dieser genau?

Tobias: Naja, zum einen stellt es an sich schon einen Wandel der Arbeitsweise dar, wenn ich mit einem neuen System arbeite. Zum anderen kann es auch eine gewisse Zurückhaltung oder Angst geben, das Wissen zu teilen. Dabei macht sich niemand dadurch ersetzbar, dass er sein Wissen teilt. Das in den Köpfen vorhandene Wissen ist ja meist auch zu komplex, als dass man es eins zu eins mit allen Beziehungen und Handlungsimplikationen und so weiter in ein Tool transferieren und dann wieder eins zu eins in die Köpfe der anderen Mitarbeitenden bekommen kann. Zumindest, solange die Neurotechnologie noch nicht so weit ist – und selbst dann kommen noch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die teilweise mit diesem Wissen verbunden sind… Allerdings können die dokumentierten oder verbal ausgetauschten Inhalte durchaus Kolleginnen und Kollegen weiterhelfen, die dadurch zum Beispiel neue Zusammenhänge oder Parallelen zu ihrer eigenen Arbeit erkennen. Relativierend muss ich allerdings auch sagen, dass natürlich schon etwas Ersetzbarkeit mitschwingt – aber im positiven Sinne.

Günther: Wie darf man das verstehen?

Tobias: Das lässt sich am besten anhand einer kleinen Anekdote erläutern. Ein ehemaliger, englischsprachiger und sehr in Sprichwörtern bewandter Kollege verwendete in einem ähnlichen Kontext mal die Phrase „you can be hit by a bus tomorrow“, um den Wert eines CRM-Systems zur Erfassung von Kundenwissen darzustellen. Auch wenn ich nach kurzem Googeln festgestellt habe, dass sich diese Aussage nach meinem besten Wissen nicht auf ein altehrwürdiges englisches Sprichwort, sondern auf einen satirischen Song bezieht, in dem es darum geht, so zu leben, als wäre jeden Tag dein letzter, finde ich die Analogie immer noch passend. Nun ist das Szenario natürlich ein eher seltenes Extrembeispiel, in das wir uns an dieser Stelle nicht weiter hineinversetzen möchten, aber es gibt einige andere Situationen. Zum Beispiel, wenn der Bereich oder das Projektteam gewechselt wird oder es einfach auch nur mal um eine Urlaubsvertretung oder etwas wie ein „Sabbatical“ geht. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen und das auch tatsächlich umzusetzen ist insbesondere die Aufgabe von Führungskräften, wie ich auch bei der Einführung eines Wissensmanagement in meiner aktuellen Tätigkeit in einer sehr kleinen Beratungsgesellschaft mit um die zehn Mitarbeitenden kennenlernen durfte.

Günther: Was waren Deine wichtigsten Learnings daraus?

Tobias: Zusammenhängend mit dem Committment der Geschäftsleitung, das bei uns vollumfänglich gegeben war und der bereits angesprochenen Notwendigkeit, die Bedeutung für das Geschäft hervorzuheben, waren das Routinen zum Einpflegen, Aktuell-Halten und Erfahrungsaustauschs. Gerade das Einpflegen braucht einen regelmäßigen Blocker im Kalender und Ereignisse wie beispielsweise dem Ende eines Projekts. Dies liegt zum einen am vollen Terminkalender, zum anderen auch daran, dass man gerade bei einer Tätigkeit wie der Beratung, wo oft nach Stunden fakturiert wird, die Opportunitätskosten greifbarer hat. Wobei es dann natürlich auch auf ein paar Überstunden extra pro Monat hinauslaufen kann… Ein weiteres Learning war, dass man wie bei agilen Ansätzen mit einem „Minimum Viable Product“ startet – also einer Lösung – in diesem Fall, ein Software-Tool und ein Konzept für die Strukturierung der Wissensdokumentation sowie Prozessen – die zwar alle „Muss-Anforderungen“ erfüllen und so einen Nutzen stiften, bei denen alles Zusätzliche aber erst nach einem Ausprobieren durch die echten Nutzer – in diesem Fall unser Team – entwickelt wird. Das reduziert nicht nur Zeit und Geld für den Start mit einem funktionsfähigen Ansatz, sondern legt gleich auch den Grundstein dafür, dass das Wissensmanagement kontinuierlich verbessert wird und nicht in der Schublade verschwindet.

Günther: Jetzt sind wir ja schon mitten in der Implementierung! Siehst Du hierbei besondere Risiken?

Tobias: Ja, natürlich gibt es Risiken, die sich zum Beispiel aus den vorher genannten Punkten ergeben, die man bei der Einführung eines Wissensmanagements beachten sollte. Wie bei Projekten in anderen Bereichen auch, treten die negativen Aspekte bei einer Nicht-Beachtung während des Projektverlaufs manchmal erst auf, wenn das Projekt schon abgeschlossen ist: zum Beispiel, wenn die Anforderungen der verschiedenen Stakeholder nicht angemessen erhoben und berücksichtigt wurden. Ein weiteres Risiko, das aber relativ leicht mitigiert werden kann, ist, sich zu sehr nach dem dokumentierten Wissen zu richten und so die eigene Kreativität beziehungsweise neue Ideen zu unterbinden. Ein Beispiel aus der Beratung, das aber auf andere Branchen übertragbar ist, wäre es, bei der Entwicklung eines Vorgehens für ein Kundenprojekt das eines anderen Kunden eins zu eins zu übernehmen. Das geht natürlich in bestimmten Fällen oder auf bestimmten Detaillierungsgraden, zum Beispiel wenn es um die Implementierung eines „Best Practice“ Prozesses geht. Aber in den Fällen, in denen der Kundenkontext dies nicht erlaubt, wäre eine kurze Ideengenerierung sinnvoll. Spontane Ideen in zehn Minuten aufgeschrieben reichen da schon aus, es geht also nicht um eine mehrstündige Recherche.

Günther: Gibt es sonst noch etwas, was Du unseren Lesern mitgeben möchtest?

Tobias: Nein, also bis auf eine kleine Zusammenfassung war‘s das erstmal. Das wichtigste Take-away dieses Interviews für die Leser wäre, dass ein gutes Software-Tool allein nicht ausreicht, um ein nachhaltiges und profitables Wissensmanagement zu etablieren. Zusätzlich braucht es auch noch eine Organisation (Prozesse und Rollen), eine (organisations-)strategische Verankerung der Bedeutung und dem Management von Wissen und zuletzt eine entsprechende Kultur. Gerade beim Start müssen nicht alle dieser Komponenten optimal ausgeprägt sein, aber ein gewisses Minimum bei allen sollte erzielt werden.

Günther: Das kennt man ja auch aus anderen Projekten, insbesondere IT-Projekten… In diesem Sinne – vielen Dank fürs Interview!